Kapitel 3 - Wie meine Bilder entstehen

Liebes Logbuch, wir schreiben den 26.11.23 und der Winter ist auf dem Vormarsch. Die letzten Nächte schenkten uns Frost und in den höheren Lagen des Harzes fiel der erste Schnee. Ganz gleich ich auch die klare, kalte Luft genieße, mit dem Herbst bin ich noch nicht fertig! Klar, die Äste haben ihr buntes Gefieder bereits dem Wind übergeben. Nur auf den Gehwegen rascheln noch die trockenen Blätter und vereinzelt laden Laubhügel zum “Wirf-mich-in-die-Luft-Spiel” ein. Davon abgesehen, hat die graue Saison längst begonnen.

Sonntag, ca. 07:00 Uhr - Es ist noch dunkel, dennoch treibt mich meine innere Uhr aus dem Bett. Ein Blick nach draußen zeigt vereiste Autoscheiben. Heute ist Ruhetag! Der Kaffee läuft bereits durch und es duftet nach Gemütlichkeit. Ich setze mich mit einer frischgebrühten Tasse Wachmacher ins Büro und blicke in mein Fotoarchiv. An einem ruhigen Morgen Augenblicke und Erlebnisse Revue geschehen zu lassen, hat etwas Magisches. Es benötigt nicht viel und im Handumdrehen durchlebt man so manches Abenteuer erneut. Das ist mir die liebste Stimmung um meine Bilder zu entwickeln. Oft liegen zwischen Aufnahme und Edit mehrere Wochen oder Monate. Mit diesem Vorgehen kann ich die Bilder neutraler beurteilen, ohne die nachwirkende Euphorie des eigentlichen Shootings. Sobald eine Aufnahme jedoch nach längerer Zeit erneut dieses Glücksgefühl hervorruft, weiß ich dass es sich lohnt, Zeit in die Entwicklung zu stecken. Meist kann ich so ein weiteres Mal in diesen Moment eintauchen. Das Erlebnis ist dann um einiges intensiver, als bei einer Bearbeitung am Folgetag.

Für heute habe ich ein Herbstbild herausgesucht, welches ich vor 3 Wochen auf das Innenleben meiner Speicherkarte gebannt habe. Wir reden hier also von höchster Aktualität. Ich betrachte die RAW-Dateien des Tagesordners und wähle, ganz intuitiv, die für mich ästhetischste Aufnahme. Ich habe von dieser Perspektive 8 verschiedene Frames belichtet. Zum Glück! - Ach so, ein “Frame” ist einer dieser Begriffe, die dafür sorgen, dass man sich einer professionellen Sprache bedient und es somit nicht an Kompetenz mangelt. “Einzelbild” lautet die Übersetzung und hätte wohl ein paar Tastenanschläge eingespart. Keine Sorge, ich werde es nicht mit Anglizismen übertreiben! Mein Akku hat mit Sicherheit nie “Low Energy, Bro”! - Zurück zum Geschehen: Es war relativ windig, weshalb ich mehrere Verschlusszeiten wählen musste, um Äste und Sträucher einzufrieren und zusätzlich das Wasser weich zu zeichnen. Bei diesem Spot arbeite ich gerne mit dem Weitwinkelobjektiv und stand relativ nah am Wasserfall, weshalb ich auch ein kleines Focus Stacking eingebaut habe. Der folgende Clip zeigt die örtlichen Bedingungen.

Ich trinke einen Schluck Kaffee und überlege wie ich die Einzelbilder am besten zusammenfüge, dabei läuft die Stress Relief Playlist auf Spotify. Der ruhige Morgen, die entspannende Musik und die Hingabe zur Fotobearbeitung lassen mich in dem Moment eintauchen. Es ist fast so, als könnte ich das Rauschen des Wasserfalls hören und die kleinen Wasserspritzer spüren. Völlig isoliert von der Außenwelt bearbeite ich das Bild von Ebene zu Ebene, bis alle Frames zusammen gepuzzelt sind. Zugegeben, sehr viel Arbeit war das nicht, aber es hat gereicht um mich näher mit dem Bild auseinanderzusetzen. Ich schnappe mir den Pinsel und beginne mit der Detailarbeit. Das Wichtigste ist für mich die Blicklenkung und das Unterstützen der vorhandenen Atmosphäre. Dieser Prozess kann kurz bis lange dauern, aber er ist wichtig, um dem Bild eine Seele zu verleihen. Ähnlich wie die einer Landschaftsmalerei.

Nach knapp 2 Stunden kehre ich aus meinem Tunnel zurück und betrachte zufrieden das Ergebnis. Bevor es jedoch veröffentlich werden kann, muss es noch eine Weile ruhen. Die Augen sind aktuell müde und sollen das Resultat noch einmal in völliger Frische beurteilen. Wie ein guter Wein können so auch Fotografien einem Reifeprozess unterliegen und ihren eigenen Charakter entwickeln.

Ich kippe den letzten Schluck kalten Kaffee runter, den ich während meiner “Trance” total vergessen hatte und stürme mit dem Schlachtruf “Zeit für Frühstück!” aus dem Zimmer.

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Kapitel 4 - Der Winter naht…

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