Kapitel 2 - Okertal im Wandel

Der Herbst hat dieses Jahr etwas auf sich warten lassen, doch nun hat er endlich seinen Höhepunkt erreicht. Viel Zeit zum Fotografieren ist bisher leider nicht geblieben. Zuletzt sorgten auch starke Sturmböen und Regenschauer dafür, dass es besser war, sich nicht im schonungslosen Wald aufzuhalten. Die Farben sind bereits explodiert und endlich zeigte sich die Möglichkeit, den Herbst von seiner schönsten Seite zu entdecken.

Glücklicherweise waren die Bäume noch nicht kahl und so entschied ich mich für eine kleine Fototour zum Okertal. Hauptmotiv sollte die bekannte Verlobungsinsel mit ihrer von Elbenkräften errichteten Brücke werden.

Die verwunschene Brücke im farbenfrohen Herbstkleid steht schon länger auf meiner Liste. Bisher war ich immer zu früh, als sich gerade mal die ersten Blätter färbten oder zu spät, als diese bereits vom Fluss davon getragen wurden. Ein weiteres Hindernis ist der wilde Strom, der sich nur zu den ausgeschriebenen Flutzeiten (2x täglich) bildet. Ohne den wilden Fluss fehlt der Szene doch ein gewisser Charme. Diesmal sollte es also klappen. Der Zeitpunkt war perfekt und ich gespannt wie sich der Spot verändert hat. Immerhin war es nun schon ein gutes Jahr her, als ich im Sommer die folgenden Bilder einkassiert hatte.

Von der allgegenwärtigen Pracht und Farbe beflügelt, mache ich mich auf den Weg zum Okertal. Auf halber Strecke trübt sich meine Stimmung. Kahle Hänge und nackte Felsen zieren inzwischen den Charakter der wildromantischen Gegend. Tote Waldabschnitte waren hier in den letzten Jahren natürlich auch keine Seltenheit, doch dieser Anblick kommt für mich dennoch überraschend. Die nun gänzlich offengelegte Verlobungsinsel lässt meine Freude versiegen. Kurz spiele ich mit dem Gedanken einfach wieder umzudrehen. Das erdachte Foto ist ohnehin nicht mehr machbar. Egal, denke ich mir, dann dient der Ausflug eben nur der Dokumentation. Immerhin ist es schon sehr spannend zu beobachten, wie sich die Natur verändert. Neue Blickwinkel werden offenbart und altbekannte verbannt. Zerstören und Erschaffen - Das Yin und Yang der Natur!

Der kleine urige Weg zur Verlobungsinsel ist mittlerweile nicht mehr so ungestört und romantisch wie noch ein Jahr zu vor. Die Straße auf der anderen Flussseite ist nun klar zu erkennen und somit erinnert auch der Verkehr immer wieder daran, dass man nicht wirklich in der entlegenen Natur ist. Den Weg gehe ich schnell und ohne großen Genuss. Früher hab ich mir hier gerne Zeit gelassen um einfach durch zu atmen, nun fehlt mir etwas die Verborgenheit und der natürliche Sichtschutz. Die geheimnisvolle Szenerie hat hier erstmal Pause.

Nun stehe ich vor der kleinen, verwurzelten Insel und halte kurz Inne. Ich stelle mir ernsthaft die Frage: „Wofür soll ich noch die Kamera rausnehmen?“ Ich gehe ein paar Schritte weiter und betrachte das erste Staubecken, in dem die Kajakfahrer nach ihrem Rafting gemütlich austreiben. Es ist beinahe leer. Ein Wasserstand, den ich an diesem Ort so noch nie gesehen habe. Schuld dafür sind wohl auch die Bauarbeiten am unteren Staubecken. Weitergehen lohnt sich also auch nicht. Aktuell wird das Okertal aufgrund der Baumaßnahmen scheinbar nicht geflutet, also hole ich die Kamera raus und gehe runter zum Fluss. Bei Flutung ist dringend davon abzuraten, da der Fluss in wenigen Sekunden zu einem reißenden Strom werden kann. Da kann sich auch der stärkste Bulle nicht mehr auf den Beinen halten. Meine Schnappschüsse sollen vorrangig der Dokumentation dienen und den Wandel des begehrten Fotospots festhalten.

Ganz unerwartet entdecke ich einen kleinen Wasserschwall. Kaum erwähnenswert, wenn man an die Strömung während der Flut denkt. Jedoch wird hier durch das Ultraweitwinkelobjektiv die eine Perspektive offenbart, die mir trotz allem etwas interessant vorkommt.

Also baue ich kurzerhand das Stativ auf und verfeinere die Komposition etwas. Ich stelle verschiedene Fokuspunkte und Belichtungszeiten ein. Wenn fließendes im Spiel ist, mache ich immer zahlreiche Aufnahmen. Oft neige ich dazu es zu übertreiben, aber die Dynamik ändert sich sekündlich und ich habe gerne eine kleine Auswahl, sobald es ans Entwickeln geht. Ganz zufrieden bin ich jedoch nicht. Ich packe zusammen und verlasse den Spot. In mir schwingt die Neugier, was hier wohl die kommenden Jahre geschehen wird.

Zwei Tage später schaue ich mir die Aufnahmen an und beginne ein kurzes Editing. Dabei muss ich feststellen, dass durchaus Potential vorhanden ist. Ehrlich gesagt, bin ich sehr glücklich das Bild gemacht zu haben, auch wenn ich vor Ort noch dachte, dass es wohl eher im Archiv verborgen bleibt.

Für dieses Bild habe ich zwei Fokuspunkte mit zwei unterschiedlichen Verschlusszeiten zusammengefügt. Das Wasser wollte ich etwas weicher und dynamischer darstellen und habe dafür eine Aufnahme mit 0,5 Sek. belichtet. Aufgrund des leichten Windes musste ich für den Hintergrund eine kürzere Verschlusszeit wählen und bin mit dem ISO-Wert etwas höher gegangen. Andernfalls wären die Äste und Blätter verschwommen. In Photoshop habe in den Hintergrund über eine Maske eingepinselt und fertig!

Der Duft nach frischem Kaffee und selbst gebackenen Zimtschnecken verrät mir, dass Kathrin ebenfalls fleißig war. Ich tippe die letzten Zeilen in den Blog und klicke auf Sichern. Wie Samson, der gerade Käse wittert, werde ich vom Duft in die Küche getragen. Dort bemerke ich, wie der Regen unaufhörlich gegen die Fensterscheiben prasselt und der Sturm nach und nach die letzten Herbstkleider vertreibt. Ein letztes Mal spielt der Herbst die Sinfonie der Melancholie und lässt die Blätter für uns tanzen. Fasziniert betrachte ich das bunte Treiben und beiße von der Zimtschnecke ab…

 
 
 
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Kapitel 3 - Wie meine Bilder entstehen

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